The JustRestart case

Die „kollective Schuldenregelung“ ist in Belgien ein gerichtliches Verfahren, welches natürlichen Personen ermöglicht, ihre Schulden zu begleichen und einen Neubeginn zu machen. Im Auftrag der Rechtsanwaltskammern OVB und OBFG entwickelte Aginco für dieses Verfahren eine sichere und intuitiv zu bedienende digitale Plattform, die dazu dienen soll, die Abwicklung umfassend zu beschleunigen und transparenter zu machen.

Seit 1999 gibt es in Belgien, analog zu den Insolvenzverfahren für Unternehmen, das Verfahren zur Kollektivschuldenbegleichung für natürliche Personen. Wer Schwierigkeiten hat, seine Schulden zu bezahlen, kann beim Arbeitsgericht einen Antrag auf Kollektivschuldenbegleichung stellen. Nach Angaben der Nationalen Bank Belgiens gab es im Jahr 2020 mehr als 74.000 offene Kollektivschuldenverfahren.

An einem Verfahren zur Kollektivschuldenbegleichung sind zahlreiche Parteien auf unterschiedlichen Niveaus beteiligt, darunter:

  • der Schuldner, der das Verfahren beginnt,
  • der Schuldenvermittler (in den meisten Fällen ein Rechtsanwalt), der einen Vorschlag für einen Begleichungsplan macht
  • das Gericht, das für die Ausarbeitung einer Vereinbarung zuständig ist
  • die Gläubiger
  • alle zwischengeschalteten Stellen (z. B. Justizangestellte, soziale Einrichtungen etc.)
  • weitere unterstützende Dienste (z. B. Budget-Coach).

Sofern das Arbeitsgericht damit einverstanden ist, benennt das Gericht einen Schuldenvermittler, der einen (gerichtlichen oder außergerichtlichen) Vergleichsvorschlag ausarbeitet. Neben der Begleichung der Schulden geht es beim Verfahren zur Kollektivschuldenbegleichung auch darum, unterstützende Dienste einzubinden. Diese geben Anreize und helfen Privatpersonen und deren Familien dabei, einen Neustart zu schaffen.

Die Kollektivschuldenbegleichung ist ein komplexes Verfahren mit diversen Verzweigungen – und stellte somit eine ideale Herausforderung für Aginco dar. Zum einen konnten wir uns auf unsere Erfahrung beim Aufbau der Plattform für das RegSol (Zentrales Insolvenzregister) stützen, das zur Abwicklung der Insolvenzverfahren in Belgien an den Unternehmensgerichten dient. Zum anderen ähneln sich die Verfahren zur Kollektivschuldenbegleichung und zur unternehmerischen Insolvenz (u. a. Konkurs und gerichtliche Reorganisation) relativ stark, sodass wir auch unsere technische Erfahrung aus dem einen Projekt in dem anderen nutzen konnten.

Nichtsdestotrotz gab es noch einige inhaltliche wie auch technische Fragen zu klären. Unsere Teams erfassten und sortierten die Anforderungen aller Beteiligten. Welche Person oder Stelle hat wann mit wem zu tun? Welche Unterschriften und Einwilligungen sind erforderlich? Wer darf welche Abschnitte der Akte einsehen? Auf welche Weise kommen unterstützende Dienste zum Einsatz? Diese Fragen wurden anhand von Interviews, Analysedaten und Anwendertests geklärt, sodass am 2. November 2023 eine erste Version der Plattform fertig gestellt werden konnte.

 

 

„ Es gab noch einige inhaltliche wie auch technische Fragen zu klären. “

 

 

Mittlerweile wurden bereits einige Anpassungen und Ergänzungen implementiert, um die Plattform zum zentralen Werkzeug für alle Beteiligten auszubauen. Gemeinsam entwickeln wir JustRestart auf der Grundlage der bestehenden Bausteine sowie einiger neuer, individuell angepasster Bausteine. Damit können wir nicht nur für rund 74.000 Menschen (und deren Familien) etwas Positives bewirken, sondern zugleich auch für alle anderen Stakeholder, wie zum Beispiel Schuldenvermittler, Sozialhilfeträger oder Wohlfahrtszentren, aber auch Gläubiger und deren Beauftragte.